Matt Mullenweg, Gründer von WordPress, hat ein Drama begonnen, welches nun bereits seit mehreren Wochen durch das Internet kursiert und die Gemüter innerhalb der WordPress Community dabei stark erhitzt, nein sogar geradezu spaltet. Denn seine Ansichten klingen zwar stellenweise ein wenig legitim, die eingesetzten Mittel jedoch sind allgemein kontrovers diskutiert und sie stellen auch eine wichtige Grundsatzfrage in diesem Bereich. Nämlich die Frage, was Open Source eigentlich genau ist, darf und ausmacht und wie *frei* derartige Software am Ende überhaupt ist. Denn genau daran, an dieser vermeintlichen Freiheit, rüttelt Mullenweg derzeit gewaltig herum.
Weil das Drama schwierig zu überblicken ist, die WordPress-Nutzer jedoch durchaus etwas angeht, weil es über Umwege auch sie betrifft, bekommt ihr hier zunächst einmal die Zusammenfassung. Doch statt mich daran unnötig zu beteiligen und weitere Gerüchte zu streuen, möchte ich versuchen, für uns alle nur die wichtigsten Kerninformationen herauszuziehen. Denn das Drama war gut und richtig, zeigt es doch die offensichtliche Schwäche des Konzepts Open Source. Zugleich ist der Umfang dieser Auseinandersetzung und deren Eskalation jedoch als sehr fragwürdig zu bezeichnen. Speziell mit den Hintergründen, die beide Parteien mitbringen.
Schauen wir uns das Drama rund um WordPress, WP Engine und Matt Mullenweg also einmal genauer an, klären auf, ziehen die notwendigen Schlüsse und lernen hoffentlich etwas daraus. Los geht’s!
WordCamp als Auslöser einer gigantischen Kontroverse
Es war Ende September, als Matt Mullenweg, der Erfinder von WordPress und CEO von Automattic (der Firma hinter WordPress.com), die Bühne auf dem WordCamp US betrat. Das WordCamp US gilt gemeinhin als das größte WordPress Community Treffen in ganz Nordamerika und ist dementsprechend auch überaus bedeutungsvoll für die gesamte WordPress-Szene. Die Reden, die Mullenweg dort hält, haben oft viel Gewicht und werden von einigen Enthusiasten geradezu erwartet. Der Name Mullenweg bringt die Leute also in Aufruhr und schafft großes Interesse. Seine Meinung zählt, was WordPress betrifft, einfach auch sehr viel.
Kurz zur Erklärung, für alle, die es nicht wissen. WordCamps sind Community Treffen, die weltweit stattfinden. Dort kommen WordPres-Nutzer, Theme Designer und Plugin-Entwickler zusammen. Es finden dort Reden statt, Wissen wird geteilt und ausgetauscht, neue Kontakte werden geknüpft und vieles mehr. Es ist die Messe für das CMS WordPress, auf der jeder ist, der beruflich damit zu tun hat. Matt Mullenweg selbst veranstaltete 2006 das erste WordCamp dieser Art in San Francisco. Seitdem hat sich viel verändert und seine Reden sind größer und bedeutungsvoller geworden.
Dieses Jahr jedoch war alles anders. Denn obwohl Matt Mullenweg ein geübter Redner ist, dessen Reden in der Community oft auch sehr viel Anklang finden, hatte er sich dieses Mal etwas überaus Kontroverses herausgesucht. Es ging um WP Engine, einen Premium WordPress Hoster mit lukrativem Geschäftsmodell. Doch was war das Problem?
Matt Mullenwegs Problem mit WP Engine
WordPress ist Open Source. Es ist frei für jeden verfügbar. Der Grund dafür, warum Open Source ein so erfolgreiches Modell und im weiteren Verlauf dann eben auch verlockendes Geschäftsmodell ist, welches WordPress überhaupt erst so erfolgreich gemacht hat, ist der, dass die Open Source Lizenz so überaus klar definiert ist. Sie ermöglicht es, die Software nicht nur frei zu verwenden, sondern ebenso ein kommerzielles Unternehmen auf Basis einer Open Source Software zu errichten. Ohne Angst vor Lizenzproblemen oder späteren Streitigkeiten haben zu müssen. Weil Open Source als ein etablierter und lang erprobter Standard gilt. Ganz gleich, ob MIT, BSD oder GPL – die Lizenzen sind allesamt klar geregelt und etabliert.
Meist sagt eine Open Source Lizenz vor allem, dass die entsprechende Software ohne Garantie angeboten wird. Sie setzt darauf, dass alle, die von der Software profitieren, selbst etwas zurückgeben. Das funktioniert mal mehr und mal weniger gut. Aber es funktioniert. Wie auch große Open Source Software Projekte wie WordPress eindrucksvoll beweisen. Aber sie könnten noch besser funktionieren. Meint jedenfalls Matt Mullenweg.
Also warf er WP Engine in jüngster Vergangenheit vor, dass diese nicht genug zurückgeben. Dafür sollen sie nun büßen. Und zwar mit acht Prozent ihrer gesamten Einnahmen, die in Zukunft an WordPress gehen sollen. Das Ganze eskalierte immer weiter und mittlerweile verklagen sich Mullenweg und WP Engine untereinander. Mullenweg nutzt dabei die Markenrechte von WordPress, um WP Engine von den für ihr Business benötigten Ressourcen auszusperren. In Hinblick auf das Konzept Open Source wird dies von den meisten Beobachtern eher skeptisch wahrgenommen.
Grundlage ist und bleibt aber, dass WP Engine nicht genug beiträgt und das Projekt nicht so unterstützt, wie es laut Mullenweg könnte und auch sollte. Als Reaktion wurde ein Markenstreit hervorgekramt, bei dem es darum geht, dass WP Engine täuscht und den Eindruck vermitteln möchte, ein Teil von WordPress zu sein, was es aber nicht ist.
Probleme an Matt Mullenwegs Äußerungen
Um die tatsächlichen Ausmaße des Streits zwischen WordPress und WP Engine zu verstehen, müssen wir aber noch viel tiefer graben. Denn der Markenrechtsstreit ist nur Mittel zum Zweck, wird also genutzt, um etwas in der Hand zu haben. Es geht vielmehr um Geld und darum, dass hier fundamentale Open Source Grundsätze erschüttert wurden. Aber auch darum, dass WordPress.com mit WP Engine in direkter Konkurrenz steht.
Denn auch wenn es vielleicht stimmen könnte, dass WP Engnine weniger als andere zum WordPress-Projekt beiträgt, so kann dies niemals die Grundlage für derartige Maßnahmen sein. Open Source heißt, dass das Projekt kostenlos ist. Open Source funktioniert, weil viele dennoch bereit sind zu geben und Mitarbeiter abzustellen oder Arbeitszeit zu investieren, um das Projekt als solches voranzutreiben. Nur kann eben niemand dazu gezwungen werden. Auch dann nicht, wenn es einigen unfair erscheint.
Was bedeutet also Open Source bei WordPress? Du darfst es so lange verwenden, bis du zu erfolgreich bist? Dann möchten die Macher Geld von dir? Open Source ist verlässlich, aber nicht, wenn die führenden Köpfe so handeln wie Matt Mullenweg. Wenn die Lizenz nicht mehr für alle im gleichen Maße gilt, sondern neue Regeln gelten, je nachdem wie erfolgreich ihr mit eurem Projekt auf Basis der Open Source Software seid.
Wie weit dürften diese Grenzen verschoben werden? Matt Mullenweg ist Gründer von WordPress, kontrolliert die Stiftung und WordPress.org, ist gleichzeitig aber auch für WordPress.com, den kommerziellen Ableger verantwortlich, ein Produkt seiner Firma Automattic. Wo fängt der Interessenkonflikt und Machtmissbrauch an? Ganz gleich, ob die Kritik an WP Engine berechtigt ist oder nicht, müssen auch solche unangenehmen Fragen gestellt werden.
Folgen des Streits zwischen WordPress und WP Engine
Alles fing an mit dem Beitrag [WP Engine ist not WordPress] von Matt Mullenweg. Dann folgten viele kleine und größere Aussagen, die WP Engine unter anderem als [Krebs für WordPress] bezeichneten. Es folgten Unterlassungserklärungen.
Nachdem der Streit nun also ein Feuer entfacht hatte, ging es relativ schnell und ziemlich kindisch weiter. Nicht nur, dass sich beide Parteien gegenseitig Vorwürfe machten, es gab auch einige sehr zweifelhafte Schritte, die WordPress einleitete. So wurde WP Engine offiziell von den Ressourcen verbannt und das [Login] mit einem Hinweis versehen, der deutlich machte, dass alle, die mit WP Engine in Verbindung stehen, keinen Zugang mehr haben. Dort gibt es (stand 16. Oktober) nämlich ein neues Kontrollkästchen mit folgendem Inhalt:
I am not affiliated with WP Engine in any way, financially or otherwise.
WP Engine darf damit nicht mehr auf WordPress.org zugreifen. Diese Sperrung wurde kurzzeitig aufgehoben und wohl wieder eingeschaltet, woraufhin WP Engine [Klage gegen Automattic] (WordPress.com) einreichte, wegen Erpressung und Machtmissbrauchs.
Mullenweg wiederum veröffentlichte die von ihm vorgeschlagene [Vereinbarung] an WP Engine, die acht Prozent der Umsätze fordert oder mehr Engagement in Bezug auf WordPress verlangt. Dafür darf WP Engine die Marke WordPress und WooCommerce verwenden.
Die letzte Eskalation betraf ein WP Engine Plugin, welches von Mullenweg [übernommen] wurde. Ausgelöst durch diese ungewöhnliche Situation, wie es heißt. Auch Mitarbeiter, die von WP Engine zu Automattic gewechselt sind, [melden] sich inzwischen öffentlich zu Wort. Es ist ein Hin und Her und so richtig im Recht scheint niemand von beiden zu sein. Wobei das schlussendlich die Gerichte klären müssen.
Nachwirkungen von Matt Mullenwegs Aussagen
Nach Mullenwegs Kritik waren auch bei Automattic nicht alle mit seiner Meinung einverstanden. Das führte dazu, dass er allen Mitarbeitern ein Buy-out anbot. 30.000 Dollar oder sechs Monatsgehälter für alle, die unzufrieden sind und nach dem Streit lieber gehen wollen. Nur ein Recht auf Wiedereinstellung gäbe es nach einer solchen Vereinbarung nicht, ließ er verlauten. Wer gehen wollte, ging demnach für immer.
Fast zehn Prozent der Belegschaft von Automattic verließ das Unternehmen daraufhin. Genau genommen waren es 8,4 Prozent und somit 159 Angestellte, die das Geld nahmen und WordPress den Rücken kehrten. Mullenweg selbst sah das Ganze als eine Art Säuberungsaktion. Wer nun geblieben ist, befindet sich mit ihm auf einem guten Weg und ist bereit dafür, die Zukunft von WordPress mitzugestalten.
Den Rechtsstreit, den Mullenweg mit Silver Lake (der Private Equity Firma hinter WP Engine) angefangen hat, wird vermutlich noch lange dauern. Silver Lake hat ein Vermögen von über 100 Milliarden Dollar und wird in diesem Fall wohl nicht nachgeben. Unter anderem deshalb, weil es bei der Klage auch um die Aussagen von Mullenweg geht, die schlichtweg eine Verleumdung in den Raum stellen. Was am Ende rechtens ist und was nicht, entscheiden jedoch andere. Mal schauen, wie die Sache ausgeht.
Was ist überhaupt Open Source?
Die entscheidende Frage, die hinter all dem steckt, lautet daher nicht, wer von beiden Parteien am Ende Recht erhält. Ideologisch muss das jeder mit sich selbst ausmachen und rechtlich werden es die Gerichte klären. Es geht im Kern vielmehr darum, was Open Source ist und darf und was eben nicht. Wenn Open Source kostenlos ist, was berechtigt Matt Mullenweg dann, Geld von WP Engine zu verlangen, weil sie nicht *genug* beitragen? Und was ist *genug* für etwas, was Open Source und damit frei verfügbar ist?
Was ist *genug*, wenn per Lizenz bereits *gar nichts* verlangt wird? Wenn das Projekt auch für kommerzielle Zwecke frei verfügbar ist. Es mag zum guten Ton gehören und zum Community-Gedanken von WordPress, dass etwas zurückgegeben und beigetragen wird, aber inwieweit darf so etwas von WordPress *verlangt* werden.
Das ist die Krux an dem Streit zwischen Mullenweg und WP Engine. Es verletzt die Relevanz und Integrität von Open Source als Label. Wenn es willkürlich wird und die Gründer nach Jahren plötzlich etwas von mir verlangen können, obwohl das Projekt Open Source war und ist, ist das nicht mehr Open Source. Denn es gibt vonseiten der Gründer kein Anrecht auf den Einsatz der Nutznießer. Immerhin ist genau das ein Erfolgsrezept von Open Source und im Grunde auch der Kern der meisten Open Source Lizenzen.
So etwas, wie im Falle von WP Engine, mag zunächst unfair erscheinen, doch es gehört zum Konzept von Open Source Software nun einmal dazu. Das ist der Deal. Deshalb funktioniert Open Source, selbst wenn nur wenige etwas zurückgeben. Und deshalb sind Systeme wie WordPress so unglaublich weit verbreitet.